Verhandlungen für die Nachfolge - AOS Experten im Brillen-Profi Interview

Stand 23.09.2021

Verhandlungen für die Nachfolge - AOS Experten im Brillen-Profi Interview

Verhandlungen für die Nachfolge

AOS Experten im Interview

Es kommt Bewegung in den Bereich Unternehmensnachfolge: In den vergangenen eineinhalb Jahren ist die Zahl der Existenzgründer erstmals wieder deutlich gestiegen. Doch wie laufen die Verhandlungen zwischen Verkäufer und Käufer ab? Dabei sind nicht nur der Kaufpreis und andere Verhandlungsthemen entscheidend: Hier treffen auch zwei Generationen mit unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander, wie unsere Opti-Change-Experten Stefan Herburg und Ingo Kemmer ihre Erfahrungen schildern.

Bei der Unternehmensnachfolge im Bereich Augenoptik / Hörakustik sind sie die führenden Experten: Diplom-Volkswirt Stefan Herburg und Diplom-Kaufmann Ingo Kemmer von der AOS Unternehmensberatung GmbH. Seit über vier Jahren bewertet und vermittelt die AOS Unternehmensberatung GmbH aus Dortmund auch im Rahmen unserer Online-Plattform OptiChange.de. Dabei begleiten AOS-Geschäftsführer und Diplom-Volkswirt Stefan Herburg sowie sein Kollege Ingo Kemmer (Diplom-Kaufmann) den komplexen Übernahme- und Übergabeprozess und unterstützen die Parteien ganzheitlich in allen Fragen, erstellen alle relevanten Verträge und Dokumente, moderieren die Gespräche und Verhandlungen und stimmen alle notwendigen Fragen und Punkte auch mit externen Partnern ab. Welche Erfahrungen unsere Experten bei den Verhandlungen zwischen Verkäufer und Käufer machen, schildern sie im folgenden Interview.

Herr Herburg und Herr Kemmer, was unterscheidet die heutigen Existenzgründer im Vergleich zu früheren Generationen?

Stefan Herburg: Die Unterschiede sind kein Augenoptik-typisches Phänomen. Aber die Work-Life-Balance wird auch für Augenoptikerinnen und Augenoptiker immer wichtiger – also, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht. Die Devise lautet jetzt: Gründen ja, aber dafür auf alles andere zu verzichten? Nein. Das hat natürlich ein paar Konsequenzen, z.B. dass auch für Gründer gut laufende Geschäfte mit ausreichend Personal im Fokus stehen.

Was meinen Sie damit?

Herburg: Ein beliebtes Modell für Existenzgründer war früher die Übernahme eines kleinen Geschäfts. Da arbeitet der Inhaber mit einer Teilzeitkraft. Nach dem Motto: Da verdiene ich das Gleiche wie jetzt, bin aber frei und mein eigener Herr. Heute hingegen sind die meisten Existenzgründer überzeugt: So ein kleines Geschäft, da kann ich ja nie in den Urlaub fahren. Ich muss immer da sein, auch wenn ich im Krankheitsfall eigentlich zu Hause bleiben sollte. Das ist nach dem heutigen Verständnis nicht familienkompatibel.

Ingo Kemmer: Familienkompatibel ist vielmehr ein Geschäft mit drei bis vier Mitarbeitern, wo ich auch in den Urlaub fahre oder einen Tag in der Woche freimachen kann. Oder heute Nachmittag hole ich mal die Kinder von der Schule und verbringe die Freizeit mit ihnen. Das ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten für alle deutlich wichtiger geworden.

Herburg: Das unterscheidet die frühere Generation von der aktuellen. Deren Lebenstraum war vorwiegend die Gründung, der in den folgenden 30 Jahren fast alles untergeordnet wurde. Dabei kam aber die eigene Familie häufig zu kurz. Das klappte aber durch das klassische Familienbild, da die Ehefrau dem Unternehmer zu Hause den Rücken freigehalten hat. Die jetzige Generation an Gründern und deren Ehepartnern möchte das nicht mehr. Dass das klappt, beweisen die jetzigen Existenzgründer. Aber das wird zum Thema in den Verhandlungen.

Wie unterschiedlich sind dabei die Vorstellungen?

Herburg: Bei den Verhandlungen treffen unterschiedliche Generationen aufeinander. Beispiel: Auf der einen Seite der 63-jährige Verkäufer. Der groß geworden ist mit der Vorstellung, dass man dem Erfolg alles unterordnen muss. Der 60 Stunden pro Woche im Laden war, während die Ehefrau in den 1970er Jahren den Haushalt gemacht und die drei Kinder großgezogen hat. Und genau dieser trifft jetzt auf den möglichen Nachfolger, der sich fragt: Klappt das denn mit zwei mal zwei Wochen Urlaub im Jahr?
Und hier hört man die Skepsis des Verkäufers heraus: Warum spricht der jetzt von Urlaub? Ich hatte die ersten Jahre nach der Gründung nie Urlaub! Das kommt oft bei den Älteren so an, als wären die Jüngeren faul. Was nicht stimmt! Die sind hoch engagiert, fachlich top qualifiziert und machen einen guten Job, sind halt einfach nur anders. Weil sich die Gesellschaft und das Rollenbild in den Familien verändert hat.

Ist es bei diesen Voraussetzungen schwierig für Sie, Verkäufer und Käufer zusammenzubringen?

Herburg: Unser Job in den Moderationen ist es, zwei Generationen miteinander zu verbinden, die häufig ganz anders denken und auch eine andere Sprache sprechen. Umso wichtiger wird unsere Aufgabe, den beiden Parteien einfach zu erklären, was der Andere jetzt gerade meint. Dazu kommt noch die sich deutlich weiter entwickelte Ausbildung in der Augenoptik, wodurch bei den Jüngeren Themen wie Screening und Optometrie eine wichtige Rolle spielen. Eigentlich denkt man, je besser man sich schon kennt, umso einfacher ist die Übergabe. Das ist aber genau andersherum der Fall. Eine Übergabe an die eigenen Kinder oder an langjährige Mitarbeiter ist wegen der deutlich größeren Nähe und damit Emotionalität häufig deutlich schwieriger zu managen als ein Verkauf an einen fremden Dritten, da man sich dort deutlich besser auf die rechtlichen, betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Fragen der Übergabe konzentrieren kann.

Kemmer: Das ist auch nicht nur fachlich begründet, sondern mehr in Bezug auf die allgemeinen Trends. Ein Beispiel ist die Digitalisierung. Bei einem Betrieb, der vor 20 Jahren gegründet wurde, da konnte man das Internet über die Telefonleitung nutzen, aber nicht gleichzeitig telefonieren. Im Gegenzug lernen die jungen Fachkräfte jetzt schon in Betrieben mit vernetzten Prozessen. Das ist eine ganz anders geprägte Generation. Und macht es für uns spannend.

Herburg: Für die jungen Leute ist es klar, dass sie auf alle Fälle einen Facebook- und Instagram-Kanal haben werden, um Kunden zu gewinnen. Wo der alte Inhaber der Meinung ist: Habe ich nie gebraucht, schon die Internetseite ist eigentlich überflüssig. Die beiden Parteien bringen wir dann zusammen, um am Ende der Verhandlungen zu sagen: Okay, wir leben zwar bezüglich verschiedener Aspekte in anderen Welten, aber trotzdem schätzen wir uns und haben eine Atmosphäre geschaffen, in der man miteinander dieses Geschäft abwickelt.
Man könnten ja sagen, das ist alles nicht notwendig. Aber praktisch immer begleitet der alte Inhaber den Übergang noch eine Weile und da sollten im Vorfeld bestimmte Dinge geklärt sein, dass es nicht nach der Übernahme zu Konflikten bezüglich Betriebsführung, Ausrichtung und Philosophie kommt.

Sie haben den Fortschritt und die technischen Möglichkeiten angesprochen. Heißt das im Umkehrschluss, dass junge Existenzgründer auch erfolgreicher sind?

Herburg: Die Top-Ausbildung ist Segen für die Branche, aber auch Fluch für manche Unternehmer. Denn am Ende muss ich als Inhaber immer auch die Wirtschaftlichkeit im Blick haben. Und das Geschäftsmodell der Augenoptik in punkto Wirtschaftlichkeit ist: Top-Beratung, Messkompetenzen und natürlich der Verkauf von Brillen, Kontaktlinsen und anderen Produkten.
Viele junge Leute haben ein enormes Wissen, müssen aber im betrieblichen Alltag feststellen, dass sie das nicht bei jedem Kunden anbringen können oder das viele Kunden es gerne in Anspruch nehmen, solange es wenig oder nichts kostet. Wer sich in der Welt der Optometrie verzettelt, Stunde um Stunde in Hinterzimmern verbringt, dabei wenig verdient und kein klares Geschäftsmodell entwickelt, verkauft in der Zeit zu wenig Produkte. Und die stellen noch immer die wichtigste Wertschöpfungskette dar. Außerdem ist es bei einem Betriebsübergang wichtig, als der "Neue“ bei Kunden präsent und sichtbar zu sein. Die, die es schaffen, Wirtschaftlichkeit mit neu implementierten Untersuchungsmöglichkeiten oder anderen Ideen zu verbinden, die den Kunden einen Mehrwert schaffen: Das sind die guten und auch die erfolgreichen Unternehmer.

Was sollte denn am Ende eines Übergabeprozesses stehen?

Kemmer: Der Gründer und der alte Inhaber sollten ein gutes Miteinander gefunden haben, da das für die Übergabe der Kundenbeziehungen in den Monaten nach der Übernahme wichtig ist. Der alte Inhaber sollte dem Käufer zur Seite, aber nicht im Wege stehen. Er wird neue Dinge probieren, manches wird erfolgreich sein, aber nicht alles davon wird gelingen. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht geändert.

Herburg: Der Verkäufer sollte dem Käufer mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn er gefragt wird. Ein guter Unternehmer macht nie alles richtig, aber immer mehr richtig als falsch. Und der Gründer sollte nicht zu schnell und zu radikal verändern wollen. Das Wichtigste bei der Übernahme eines bestehenden Geschäfts ist im ersten Schritt den bestehenden Kundenstamm zu halten und Kunden nicht durch zu viele kurzfristige Veränderungen und Neuerungen zu verunsichern. Der Käufer hat ja auch im Normalfall noch 30 oder mehr Jahre vor sich, in denen er seine augenoptischen und unternehmerischen Fähigkeiten beweisen kann.
Wenn es beiden gelingt, ein Jahr nach der Übernahme hin und wieder abends ein - je nach Region - Glas Bier oder Wein miteinander zu trinken und sich auf Augenhöhe über den Markt und das Geschäft auszutauschen, dann ist der Übernahmeprozess wirklich gut geglückt.


Quelle: Brillen-Profi