Seit Jahren ging die Zahl der Existenzgründer in der Augenoptik bedenklich zurück – ausgerechnet die Corona-Krise hat für eine Trendumkehr gesorgt. Das sind gute Nachrichten für traditionelle Augenoptiker, die ihr Geschäft an Existenzgründer übergeben wollen. Doch worauf sollen die Jungunternehmer bei ihrem Weg in die Selbständigkeit achten? Das verraten unsere OptiChange-Experten von der AOS Unternehmensberatung im Interview.
Seit vier Jahren bewertet und vermittelt die AOS Unternehmensberatung GmbH aus Dortmund auch im Rahmen unserer Online-Plattform OptiChange.de. Dabei begleiten AOS-Geschäftsführer Stefan Herburg und sein Kollege Ingo Kemmer den komplexen Übernahme- und Übergabeprozess und unterstützen die Parteien ganzheitlich in allen Fragen, erstellen alle relevanten Verträge und Dokumente, moderieren die Gespräche und Verhandlungen und stimmen alle notwendigen Fragen und Punkte auch mit externen Partner ab.
Welche Tipps die Profis für Existenzgründer haben, lesen Sie im folgenden Interview.
Interview:
Herr Herburg und Herr Kemmer, im letzten Interview sprachen Sie davon, dass im Corona-Jahr 2020 ein Anstieg bei den Existenzgründungen zu verzeichnen war. Wie hoch ist dieser prozentual gewachsen?
Stefan Herburg: Bedingt durch die Vollbeschäftigung im Markt hat die Zahl der Existenzgründer in den letzten Jahren immer mehr abgenommen. Die Jobs in der Augenoptik sind zwar weiterhin sicher. Aber viele Angestellten mussten ab dem Frühjahr 2020 in Kurzarbeit und damit finanzielle Einbußen hinnehmen. Auch das hat mitunter dazu geführt, jetzt doch die eigene Selbständigkeit zu forcieren. Auf dieser Basis gehen wir von einem Anstieg bei den Existenzgründungen um 20% aus.
Das ist eine gute Botschaft für viele traditionelle Augenoptiker, die vielleicht gerne an einen Gründer verkaufen wollen bzw. wo das Geschäft gut zu einem Existenzgründer passt.
20% mehr Existenzgründer – lässt sich das konkret an Personen feststellen?
Ingo Kemmer: Konkrete Zahlen für Deutschland liegen uns nicht vor, aber man bekommt nach vielen Jahren ein Gespür für diese Marktentwicklungen. In der Gesamtheit kann man sicherlich von einer kleinen dreistelligen Zahl von Augenoptikern reden, die sich mit dem Gedanken der Selbständigkeit konkret und ernsthaft tragen. In einigen Fällen geht es um eine Übernahme des elterlichen Betriebs, bzw. des Betriebes des jetzigen Arbeitgebers. Die Frage bleibt, wie viele von ihnen den Weg bis zum Ende gehen und wie viele nach einem Ende der Pandemie evtl. wieder das Interesse verlieren.
Wer macht sich selbständig? Gibt es da eine Veränderung?
Herburg: Der Gründer wird tendenziell älter. Mit Existenzgründer assoziiert man ja häufig ein Alter zwischen 25 und 30 Jahren. Die Realität sieht aber so aus, dass auch Augenoptiker im Lebensalter von rund 40-50 Jahren tatsächlich regelmäßig auch noch diesen Weg wagen. Und neben den Augenoptikern, die aus einem Fachgeschäft kommen, haben wir auch immer wieder Wechsler aus der Glas- und Fassungs-Industrie, die auch jenseits eines Alters von 30 Jahren noch ein Geschäft übernehmen wollen.
Kemmer: Subjektiv gesehen gibt es aber noch einen Trend: Es haben sich bei uns auch entgegen unserem Rat im vergangenen Jahr immerhin drei Existenzgründer konkret mit einer kompletten Neugründung auseinandergesetzt. So einen Mut sehen wir relativ selten, ist doch der Markt bundesweit gut bis sogar deutlich überbesetzt.
Warum sprechen Sie hier von Mut?
Kemmer: Wenn man die Risiken und Chancen abwägt, ist der Unternehmenskauf der vernünftigere Weg als eine Neugründung. Denn bei letzterer wäre es eine Komplett-Investition in 0 Euro Umsatz. Beim Unternehmenskauf hingegen kann der Existenzgründer auf einen Umsatz, einen Personalstamm, einen angestammten Namen, einen bekannten Standort, einen Kundenstamm und vieles mehr bauen.
Herburg: Das zeigen auch die Erfahrungen im vergangenen Jahr. Wer im Januar einen Laden neugegründet hat, der ist garantiert schlechter durch die Pandemie gekommen als jene, die im Januar ein bereits bestehendes Geschäft gekauft hatten. Denn der komplette Neugründer konnte nicht auf eine Stammkundenbasis und den darauf aufbauenden Kaufrhythmus aufsatteln. Und das hat dem einen oder anderen schon sehr wehgetan. Herr Kemmer hat da Fälle betreut, wo sich bei der dünnen Kapitaldecke direkt die Frage stellt: Wie lange hält man das durch? Und gibt die Bank noch einmal Geld?
Kemmer: In einem Fall musste durch die Bank initiiert noch eine Nachfinanzierung durch Mezzanine-Fonds erfolgen. Das schmerzt. Das aber sind Entscheidungen, die in der Regel denjenigen nicht treffen, der das Geschäft im Asset-Deal kauft.
Welchen Rat haben Sie für potenzielle Existenzgründer parat? Tipp Nummer 1?
Herburg: Geschäft kaufen statt Geschäft neugründen. Weil das Risiko einfach geringer ist und man besser planen kann. Das Angebot an guten Geschäften, die zu einem passen, ist vorhanden. Emotional gesehen ist das vielleicht nicht so schön, denn 100-prozentige Selbstverwirklichung bedeutet ja: Ich hab das Ladenlokal meiner Träume – mit dem Ladenbau, mit der Farbe, den Maschinen und Geräten und genau dem Geschäftskonzept, das ich verwirklichen möchte. Das klingt romantisch, häufig holt einem aber die harte Marktrealität ein. Das ist quasi das neue Haus gegenüber dem gebrauchten. Letzteres ist immer ein Kompromiss, weil sich hier schon ein anderer selbstverwirklicht hatte.
Aber das Risiko ist auf alle Fälle deutlich geringer, weil ich den wichtigsten Wert eines Augenoptikgeschäftes habe: die Stammkundenbasis. Zudem kann ich auf gewisse gewachsene Strukturen zurückgreifen – beispielsweise auf Personal, das Kundenbindung hat.
Und wie sieht der zweite Tipp aus?
Herburg: Gut planen. Hier sollte man sich unbedingt einen kompetenten Berater holen, der sowohl den gesamten Prozess steuert als auch bei der Finanzierung sowie bei den Verträgen und allen weiteren Fragen berät. Und er sollte wirklich die Augenoptik gut kennen. Wichtig ist zudem: Der Existenzgründer sollte eine räumliche Flexibilität an den Tag legen. Denn als Existenzgründer sollte man sich eher darauf konzentrieren, dass der Betrieb zu einem passt und etwas mobiler bei regionalen Überlegungen sein. In der Realität sieht das oft anders aus – beispielsweise aus familiären Gründen. Hier schwingt die Hoffnung mit: Hauptsache, ich habe das Geschäft am Wunschort, den Laden kann ich dann entsprechend nach meinen Wünschen anpassen.
Aber umändern heißt, die Seele des Geschäfts zu verändern – und damit den Erfolg zu gefährden. Denn je mehr sich zum Stichtag einer Übergabe ändert, desto größer ist die Kundenverunsicherung. Das sollte ein Gründer sehr schleichend machen und seine eigene Prägung in den kommenden Jahren langsam umsetzen. Umso wichtiger ist es daher, dass die bisherige Positionierung des Unternehmens und die Kundenbasis, die dieses Geschäft schätzt, zum Existenzgründer passt.
Und so traurig das klingt: Man sollte Spaß haben, nicht nur mit Kunden im Unternehmen, sondern auch immer am Unternehmen arbeiten zu wollen. Tolle Brillen – das können viele! Ein schlüssiges Konzept für sein Unternehmen zu haben, das macht am Ende den Unterschied
Kemmer: Ein weiterer Tipp von uns richtet sich an die Einstellung der Existenzgründer. Man muss an sich glauben und letztendlich den Job mit Spaß und aus einer Freiheit heraus ausüben. Die erfolgreichsten Unternehmer, die wir kennen, sind nicht gerade die „verkrampftesten“. Das funktioniert aus einem gewissen Selbstverständnis – gepaart mit einer gewissen Selbstsicherheit, weil man einfach Spaß am Beruf des Augenoptikers hat. Sonst hätte man sich wohl auch nicht die Frage nach der Selbständigkeit gestellt.
Quelle: www.inside-brillenprofi.de